9. Das Betreuungsverfahren

Wie läuft das Verfahren ab?

Das Gericht entscheidet über Ihre Betreuung, über den Umfang der Aufgabenkreise und über einen eventuellen Einwilligungsvorbehalt in einem Gerichtsverfahren, dem Betreuungsverfahren. Es läuft nach ganz bestimmten Regeln ab.

Da gibt es zum einen die Anhörung: das ist ein Gerichtstermin, bei dem Sie dem Gericht Ihren Standpunkt persönlich vortragen können. Das Gericht darf sich keinesfalls auf ein reines Aktenstudium beschränken.

Entweder werden Sie schriftlich davon benachrichtigt, dass ein Betreuungsverfahren eingeleitet worden ist, und zur Anhörung vorgeladen. Oder – wenn Sie bereits freiwillig oder unfreiwillig in einer Einrichtung sind – es kommt ein Betreuungsrichter zu Ihnen in die Einrichtung, um Sie anzuhören.

Die Anhörung muss, wenn nur irgend möglich, persönlich stattfinden, nicht etwa bloß schriftlich; sie darf nur in ganz extremen Ausnahmefällen unterbleiben – nämlich nur, falls Ihnen durch die Anhörung erhebliche Nachteile für die Gesundheit drohen; das muss durch ein psychiatrisches Gutachten untermauert werden.

Auf jeden Fall aber muss das Gericht sich einen unmittelbaren Eindruck von Ihnen verschaffen, d. h. der Richter muss Sie sehen und mit Ihnen sprechen.

Auch Ehegatten, Eltern und Kinder sollen im Betreuungsverfahren nach Möglichkeit Gelegenheit zur Äußerung erhalten, es sei denn, Sie widersprechen dem mit erheblichen Gründen. Wenn Sie es wünschen, muss das Gericht zwingend diese Angehörigen anhören, ebenso eine von Ihnen benannten Vertrauensperson – jedoch mit der Einschränkung, dass dies „ohne erhebliche Verzögerung“ möglich ist.

Ferner gibt es das Gutachten: Bei der Anhörung liegt dem Gericht meist schon ein Gutachten eines Sachverständigen vor, über das kurz gesprochen wird. Das Gericht wählt den Sachverständigen nach seinem Ermessen aus; dies soll möglichst ein Psychiater sein, mindestens aber ein Arzt mit psychiatrischen Fachkenntnissen. Falls Sie sich bereits in einer Einrichtung befinden, wird meist Ihr Stationspsychiater der Sachverständige sein.

Der Sachverständige muss Sie persönlich untersuchen bzw. befragen. Auch er darf sich nicht auf ein Studium Ihrer Akten beschränken. Er muss im Gutachten ganz konkret darlegen, inwieweit er Sie für nicht fähig hält, Ihre Angelegenheiten zu besorgen; er darf sich nicht auf allgemeine Darlegungen beschränken wie etwa „aufgrund eines fortschreitenden schizophrenen Krankheitsverlaufes mit zeitweiliger Orientierungslosigkeit ist Frau X. nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten zu besorgen.“

Sie haben das Recht, das Gutachten vollständig und rechtzeitig vor dem Gerichtstermin einzusehen. Wenn Sie das Gutachten schriftlich haben möchten, beantragen Sie, dass man Ihnen eine Abschrift aushändigt. Auch auf die Abschrift haben Sie ein Recht; außerdem darf man Ihnen dafür keine Kosten berechnen.

Generell muss Ihnen rechtzeitig Gelegenheit gegeben werden, sämtliche Unterlagen einzusehen, die für das Betreuungsverfahren von Bedeutung sind, damit Sie dazu auch Stellung nehmen können.

In bestimmten Fällen muss das Gericht einen Verfahrenspfleger bestellen, vor allem, wenn es um schwerwiegende Eingriffe in Ihre Persönlichkeitsrechte geht. Dies ist eine Person, die Ihnen zur Seite stehen und Ihre Interessen vor Gericht vertreten soll, solange das Verfahren läuft, in der Regel ein Rechtsanwalt. Das Gericht wählt den Verfahrenspfleger nach seinem Ermessen aus. Die Kosten für den Verfahrenspfleger werden bei Mittellosigkeit vom Staat übernommen.

Wenn das Gericht auf Ihre Anhörung verzichten will – dies darf es nur aus besonders schwerwiegenden Gründen –, haben Sie das unbedingte Recht auf einen Verfahrenspfleger. Auch falls beabsichtigt ist, einen Betreuer für alle Angelegenheiten zu bestellen, muss das Gericht einen Verfahrenspfleger für das Betreuungsverfahren bestellen, ebenso wenn es darum geht, ob Sie einer Zwangsbehandlung unterzogen werden.

Da die Auswahl des Verfahrenspflegers in den Händen des Richters liegt, kommt es erfahrungsgemäß öfter mal vor, dass ein Richter es vermeidet, eine unbequeme Person auszuwählen, die ihm möglicherweise Schwierigkeiten macht. Empfohlen wird daher, sich anstelle des Verfahrenspflegers einen Rechtsanwalt der eigenen Wahl zu nehmen, sofern man sich das leisten kann.

Im Betreuungsverfahren sind Sie immer verfahrensfähig. Das heißt: In Angelegenheiten, die Ihre Betreuung betreffen, können Sie jederzeit und unter allen Umständen selbst einen Antrag an das Gericht stellen und Beschwerde einlegen, auch dann, wenn Sie nicht geschäftsfähig sind oder wenn Sie vor Gericht von einem Rechtsanwalt bzw. einem Verfahrenspfleger vertreten werden. Als Antrag wird nicht nur ein ausformuliertes Schriftstück bezeichnet – auch ein gegenüber dem Betreuungsrichter mündlich geäußerter Wunsch, einen bestimmten Arzt als Gutachter zu hören oder eine bestimmte Person zum Betreuer zu bestellen, ist z. B. ein Antrag. Falls Sie also den Eindruck haben, dass Ihr Verfahrenspfleger oder Rechtsanwalt Sie nicht mit dem nötigen Nachdruck vertritt, können Sie Ihre Meinung getrost vor Gericht äußern; das Gericht muss sich damit auseinandersetzen.

Umgekehrt ist der Verfahrenspfleger nicht an Weisungen von Ihnen gebunden. Seine Aufgabe ist es, Ihre Interessen so zu vertreten, wie er es für richtig hält. Er kann also vor Gericht die Argumente vorbringen, die nach seiner Meinung Ihnen weiterhelfen. Ein Rechtsanwalt dagegen ist an Ihre Weisungen gebunden.

Bitte nicht verwechseln: Ein Verfahrenspfleger ist kein Betreuer. Der Verfahrenspfleger vertritt Ihre Interessen nur während des Betreuungsverfahrens und auch nur dem Gericht gegenüber.

Leider muss man aber hinzufügen, dass die Verfahrenspfleger sich meistens nicht die Mühe machen, sich in den Fall einzuarbeiten, und dass sie oft noch nicht einmal vorher Kontakt aufnehmen mit dem Betroffenen. So wird die Vertretung der Interessen des Betroffenen zur reinen Formsache degradiert. Deshalb die Empfehlung, sich nach Möglichkeit einen eigenen Anwalt zu nehmen.

Das Verfahren in besonders dringenden Fällen

Wenn es mit der Betreuung eilt, können viele der oben genannten Verfahrensschritte vorläufig weggelassen werden. Der Richter erlässt dann eine Einstweilige Anordnung. Allerdings muss dem Richter wenigstens ein kurzes ärztliches Attest (offiziell ärztliches Zeugnis genannt) eines Psychiaters oder Arztes mit Psychiatrie-Erfahrung vorliegen, wenn er Ihre Betreuung anordnet. Die Verfahrensschritte, die wegen der Eilbedürftigkeit weggelassen worden sind, müssen alle unverzüglich nachgeholt werden, also innerhalb weniger Tage. (Unverzüglich bedeutet in der Sprache der Juristen „ohne schuldhafte Verzögerung“.)

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